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"Verdunkelung"
von Anders Bodelsen
Menschen ohne Macht über ihr eigenes Leben
Es war die Schwedische Akademie der Kriminalschriftsteller,
die Bodelsen den Preis für "Mørklægning"
(erschienen 1988), verlieh. Es ist ein kompakter, effektiver Roman,
der kein überflüssiges Wort zu enthalten scheint. Es ist eine
zeitlose Geschichte in einem Buch, welches an eine bestimmte Zeit festgemacht
ist, den Spätsommer von 1944, wenn jedermann bewusst wird und realisiert,
daß die deutsche Besetzung von Dänemark in einer sehr vorhersehbaren
Zeit zu Ende gehen wird.
"Vor 10 Jahren konnten wir einen Aufruhr vermeiden, unbewegt
die Besetzung in schwarz und weiß zu sehen und die Deutschen repräsentierten
die schwarze Seite", sagt Anders Bodelsen. Zugegebenermaßen
lebte die dänische Bevölkerung von Tag zu Tag, aber es gab
auch die, die zu den Deutschen zuvorkommender waren, als die Besatzungsmacht
es verlangte und es gab einige, die sich nach allen Seiten absicherten.
Sie unterstützten beide Seiten und so hatten sie eine Art doppelte
Absicherung".
Ich wollte außerdem ein Buch über die aktuelle Besetzung,
über die Beziehungen zwischen den Behörden der deutschen Besatzungsmacht
und den Behörden des besetzten Dänemarks schreiben.
"Und es war ja die normale Haltung in Dänemark, aber jetzt
will man sich nicht länger daran erinnern, und man rächt sich
an jenen, die getan haben, worum man sie anbettelte! Der König
hat es gesagt. Stauning hat es gesagt. Der kleine Mann von der Straße
sagte es auch: Wir müssen sehen, daß es weitergeht!"
Im Roman "Mørklægning" über ungeklärte
Morde während der deutschen Besetzung von Dänemark im Zweiten
Weltkrieg, sind Staatsangehörigkeit, politische und tief persönliche
Aspekte straff miteinander verwoben. Die Kriegsgewinnler, die reicher
und reicher werden und die Armen, die in diesem Krieg ärmer und
immer ärmer wurden.
Die Geschichte: Der Börsenmakler und Filmstudio-Besitzer Otto Baumann
wird nachts auf dem Nachhauseweg mit der Maschinenpistole "hingerichtet".
Die Polizei versucht, in diesen Zeiten, wo jede Ordnung und das Gefühl
für Recht und Gesetz verloren geht, diesen Fall aufzuklären.
"Ihr sollt den Fall natürlich aufklären",
sagt er. "Es handelt sich um einen Mord. In Dänemark klärt
die Kriminalpolizei Morde immer noch auf!" "Nicht sehr viele."
"In Dänemark versucht die Kriminalpolizei zu jeder Zeit, schwere
Verbrechen, wie Mord, aufzuklären." "Aber während
wir hier sitzen", sagt er, "wird ein neuer begangen."
Bodelsen versucht aufzuzeigen, wie einer versucht, Recht und Ordnung
aufrecht zu erhalten, während neben ihm alles in Chaos und Rechtlosigkeit
zerfällt. "Es geschehen so viele Morde in diesen Jahren, die
wenigsten werden jemals aufgeklärt. Als Polizist wird man nicht
von den großen oder kleinen Geheimnissen gefangen genommen. Der
Tod ist zu einer Routine geworden. Und die Polizei ist verhaßt,
egal, ob sie zuviel oder zuwenig tut; ob sie aufrechterhält, was
man Recht und Ordnung nennt, oder jenem Anteil an Ungesetzlichkeiten
den Rücken zukehrt, den man in der Zukunft sicher Patriotismus
nennen wird."
Die Frage, die ihn beschäftigt ist, ob es Recht im Zustande des
Unrechts überhaupt geben kann. Soll man warten, bis wieder eine
Zeit der Rechtmäßigkeit kommt? "Routinemäßig
war Nielsen damit beschäftigt, zahlreiche sogenannten banalen Morde
je einen Tag Zeit zu widmen - größtenteils am Schreibtisch
- und sie dann als unaufgeklärt zu archivieren, mit dem Gedanken,
daß man sie vielleicht wieder ausgräbt, wenn der Frieden
kommt, und das man für die Zeit erwartet, daß Unterlagen
vorliegen".
Da geschieht ein zweiter Mord. Und die Deutschen lösen die dänische
Polizei auf. "Die Deutschen sind ungeduldig mit der dänischen
Polizei und fürchten sich vor ihr. Die Polizei beginnt die Saboteure
zu decken, meinen die Deutschen. Und die Polizei kann zu einem Heer
im Rücken der Front werden. Deshalb beschließen die Deutschen
an diesem schönen Septembertag, die Polizei zu arrestieren. Das
ist vielleicht nicht besonders gut durchdacht. Denn können die
Deutschen selbst für Ruhe und Ordnung im zivilen Bereich garantieren
- die Deutschen und ihre dänischen Freunde? Doch einer entkommt
und verbeißt sich in diesen Fall. Und er findet die Lösung.
Weit in der Vergangenheit.
"Ich las "Das Versprechen" von Friedrich Dürrenmatt
und die Hauptperson in diesem Roman, Hans Bärlach, faszinierte
mich, weil er geradezu besessen war, von der Ausübung von Gerechtigkeit."
"Chaos und Ordnung kämpfen ja immer gegeneinander, auch in
Friedenszeiten. Es sind die beiden fundamentalen Kräfte des Seins.
Das sind die beiden einzigen Klassen der Gesellschaft. Da gibt es die,
die das Chaos und die Unordnung verursachen. Und es gibt die, denen
es bestimmt ist, das Chaos zurückzudrängen, wieder und wieder,
zurück in das Dunkel, aus dem es entsteht."
"Mørklægning" beschreibt wirklich nicht nur das
Tragische oder Heldenhafte, eher das Suchen nach Gerechtigkeit jenseits
aller Gründe. Und Gott?
"Aber - in diesen Zeiten. Wie kann der Herr die Übersicht
über alles behalten, die das Leben verlieren?" "Das kann
er." "Millionen von Leben", flüsterte die Frau.
"Millionen von Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder, Piloten, die
ihre Bomben ins Ungewisse abwerfen." "Das kann er". (...)
Und der Priester spürt, wie er von Schrecken gepackt wird; dem
Schrecken der Träume, wo ihm alle den Rücken zuwenden und
ihn verlassen.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Straus"
von Anders Bodelsen
Matroschkas - "Straus"
"Straus" dessen deutscher Titel "Straus
- oder Der zweitbeste Kriminalschriftsteller von Dänemark"
ist, ist ein Spiel. Ein Spiel mit den Möglichkeiten und ein Spiel
mit dem Genre. Ein Diskurs über den Kriminalroman und über
das Schreiben an sich. Ein Vexierspiel. Spiegelungen, das Bild im Bild,
die Puppe in der Puppe, wie die russischen Puppen Matroschkas. Der Schriftsteller
Anthon Bendix schreibt ein Buch über einen Mord. Den Mord an einer
Frau. Und wird zu Anthon Bang. Und wird zum Ich-Erzähler. Alle
haben die Initialen A.B. Wie Anders Bodelsen? Aber lassen wir den Ich-Erzähler
das Resümee ziehen:
"Straus" ist ein Buch, das seine Leser garantiert wachhalten
wird, nicht nur während der Nacht, sondern auch tagsüber.
Es ist eine meisterhafte Studie über Eifersucht und Verfolgungswahn,
genial komponiert, so daß der Leser nie völlig gewiß
sein kann, wo die Realität endet und die Phantasie einsetzt. Darüber
hinaus vermeidet es zum Glück, sich in die Kategorie zungenfertiger
psychiatrischer Fallstudien oder dieser oberflächlichen sozialkritischen
Machwerke einzureihen, in welchem der Autor die irrationalen unbestimmten
Ängste des Menschen in Bausch und Bogen unserer kranken Gesellschaft
ankreidet. Der Leser muß Augen und Ohren offenhalten, denn in
dem Roman wimmelt es von versteckten Anspielungen, die alles was der
Autor bisher geschrieben hat, zu einer neuen und überzeugenden
Einheit verschmelzen lassen. Mit "Straus" hat der Kriminalroman
zweifelsfrei seinen Höhepunkt erreicht. Es ist ein Buch, das viele
Leser verdient und sie reich belohnen wird...
Buchtipp |
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Der Autor hat sein Leben mit noch nie dagewesenem Mut unter die Lupe
genommen - trotzdem ist das Buch nicht exhibitionistisch - dafür
ist das Thema viel zu alltäglich. Der Roman wird als Schlüsselroman
verstanden werden, ist es aber nicht, da wir alle einen Straus in uns
haben, wahrscheinlich einschließlich Straus´ selber. Das
Buch ist konstruiert, um seine Leser zu fesseln, dabei verrät der
Autor aber nie sein Hauptanliegen um des billigen Effektes willen. Man
kann sich vorstellen, daß das Niederschreiben des Werkes ein ungeheurer
und vielleicht gleichzeitig schmerzhafter Läuterungsprozeß
war, daß diese Läuterung aber Stil und Aussage des Autors,
die beide im Begriff waren in der Routine zu erstarren, eine völlig
neue Erhabenheit und Befreiung verliehen haben. Gleichzeitig ist das
Buch eine ätzende Anklage gegen eine Gesellschaft, die das Individuum
zu einem Punkt treibt, wo die Sucht nach Anerkennung so übergewaltige
Formen annimmt, daß sie zur Krankheit wird. "Straus"
ist eine Fallstudie der Wettbewerbsgesellschaft in all ihrer Häßlichkeit,
dabei so unterhaltsam geschrieben, daß man das Buch nicht aus
der Hand legen kann, ehe man es nicht zu Ende gelesen hat...
"Straus" ist eine Studie über einen kranken Geist, geschrieben
mit an die Tasten der Schreibmaschine geknüpften Nervenenden; schnell
gelesen, langsam vergessen. Es wäre schade, hier die vielen darin
enthaltenen Spitzfindigkeiten und Überraschungen zu verraten, außerdem
sind sie ja auch nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist, dass der
Autor uns zu einer Konfrontation, wenn nicht sogar Identifizierung mit
einem kranken Mann zwingt und wir aufgerüttelt zugeben müssen,
dass wir alle krank sind. Wir sind zivilisierte Geschöpfe hinter
einen dünnen schützenden Schale der Normalität - bis
der Zufall diese Schale wegreißt und wir entblößt zugeben
müssen, dass wir alle wahnsinnig sind. Wie alle guten Ärzte
hat der Autor seine bittere Pille versüßt, trotzdem bleibt
die Pille bitter, und wir sollten klug genug sein, sie um unserer Gesundheit
willen zu schlucken
"Straus" ist ein Roman, der seine Vorbilder findet, wo er
es kann. In seinem komplizierten Aufbau, wo Schicht auf Schicht freigelegt
wird und der Blickpunkt wechselt wie von Spiegeln, die andere Spiegel
widerspiegeln, erinnert das Buch vielleicht an Nabokov, erzählt
aber zur gleichen Zeit die Geschichte eines Verbrechens, und zwar mit
sämtlichen unerlässlichen Spannungselementen, die von einem
klassischen Kriminalroman gefordert werden. Die Tagebuchform baut auf
einer langen Tradition in der dänischen Literatur auf, darüber
hinaus hat der Autor auch nicht die Möglichkeiten eines roman à
clef übersehen. Das Erstaunliche dabei aber ist, dass er alle diese
Elemente zu einem völlig neuartigen Kunstwerk verarbeitet hat,
zu etwas in der dänischen Literatur noch nie Dagewesenem. ..
"Straus" steht vorn auf dem Schutzumschlag, und ich muß
gestehen, dass ich das Buch ohne große Begeisterung aufgeschlagen
habe. Auch der Klappentext hörte sich wenig vielversprechend an.
Ich möchte den Lesern auch nicht verhehlen, dass ich Kriminalromane,
die zu literarisch sind, um wirklich spannend zu sein, oder zu sehr
auf Spannung geschrieben, um sich selbst noch ganz ernst zu nehmen,
mit größter Skepsis angehe. Lassen Sie mich aber vorwegschicken:
Diesmal war meine Skepsis fehl am Platz, und ich bin bereit, das gesamte
Werk eines Autors mit neuen Augen zu betrachten. "Straus"
ist ein großes Buch, größer, als wir es gewöhnlich
in unserem kleinen Dänemark vorgesetzt bekommen. Es ist ein Buch,
das einem Einblicke in sich selbst vermittelt. Und ich sage ohne Umschweife:
Das Buch hat mich mit Unruhe erfüllt. Wir haben in diesem Land
viele Menschen, die Bücher schreiben, aber wir haben nicht viele
Autoren. Das Wort gewinnt, während ich es niederschreibe, plötzlich
eine neue Bedeutung: Personen, die besondere Kenntnisse an uns weitergeben
können. Wir haben einen neuen Autor. Seit Straus' Tod ist er der
größte.
So der Ich-Erzähler in diesem Buch, der eine Art Rezension des
Romans im Roman verfasst. Aber A.B. scheint es, kennt Don Quixote. So
wie in diesem Buch dringt der Text in sich selbst und wird zum Objekt
seiner Erzählung. Don Quixote und die Figuren dieses Romans verlieren
durch ihre Verdoppelungen, durch ihre Spiegelungen, endgültig die
zerbrechlichen Beziehungen in der sie zur Welt stehen und sind nur mehr
Sprachfiguren, völlig an das Wort gebundene Gestalten. So können
es die literarisch interessierten Leser diesen Kriminalroman betrachten.
Die eher philosophischen Leser können vielleicht mit dem Leibniz'schen
Monaden-Weltbild argumentieren: Jede Welt ist darin von einer anderen
durchdrungen und alle diese Welten haben ihre Berechtigung. Beim Wechsel
des Standpunktes ändert sich auch die Bedeutung des ganzen. Es
ist ein Buch über das Schreiben eines Buches.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
"In
guten und in bösen Tagen" von Anders Bodelsen
Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus
Schon in seinem zweibändigen Roman "De gode
tider", 1977 und "År for år", 1979, kultivierte
Bodelsen den "Neurealismus", zu dessen dänischen Verfechtern
er gehört. Diese Gattung entstand als Gegenbewegung zum "Modernismus".
In diesen Büchern zeigt er, wie eine wettbewerbsfähige und
fürsorgliche Gesellschaft zu einer Entwurzelung und zu einem Durcheinander
im Leben einer Einzelperson führt. Die Vergangenheit ist etwas,
vor der man flieht, die persönliche Bedeutung ist verloren und
die Einzelperson wird dem willkürlichen Entwurf der Zeiten unterworfen.
Diesem ethische Blickwinkel wird Hauptgewicht in den neueren Romanen
von Bodelsen gegeben - "Borte Borte", 1980, "Over Regnbuen",
1982 und "Domino", 1984. Es ist wieder markant, daß
Bodelsen sich zurückhält, dem Leser ' reine ' eindeutige Charaktere
zu geben. Seine Figuren agieren im Allgemeinen aus verschiedenen Motiven.
"Praktisch jeder sollte die Hauptperson sein können. Simenon
hat einmal in einem Interview gesagt: Wer kann in einem Roman die Hauptrolle
übernehmen? Antwort: Jeder, der zum Äußersten getrieben
wird. Hinzu kommt, daß gewöhnlich in einem Roman alles vom
Blickpunkt der Hauptperson aus berichtet wird. Er kann die anderen,
aber nicht sich selbst sehen. Es sei denn, der Autor stellt ihn vor
einen Spiegel
"
Die Geschichte des Romans "Borte Borte" ist kurz erzählt:
Niels Møller, Musikalienhändler, steckt in finanziellen
Schwierigkeiten. Er hat einen großen Posten elektronischer Orgeln
übernommen und sie liegen wie Blei im Lager. Da bekommt er einen
Ausweg aus seinen geschäftlichen Sorgen angeboten. Ein junger Mann
macht ihm ein verführerisches Angebot. Er bietet ihm an, sein Lager
voller elektronischer Orgeln in Brand zu stecken. Und die Versicherung
soll zahlen. Møller ist hin- und hergerissen. Er trifft sich
mit dem Fremden, der ihm gut zuredet.
"Wenn man Sachen, die einem anderen gehören, zerstört,
dann fügt man ihm einen Schaden zu. Vielleicht ist man aber auch
selbst schon einmal geschädigt und betrogen worden. Dann ergibt
sich die Frage, was besser ist: Soll man andere betrügen, weil
man selbst betrogen worden ist? Oder soll man standhaft bleiben und
die andere Wange auch noch hinhalten, weil man in diesem korrupten System
vor sich selbst bestehen will? Und dann ist da noch die Frage, wie wertvoll
die Sachen eigentlich sind, die man zerstört. Unser ganzes System
beruht doch darauf, daß wir Abfall produzieren und die Umwelt
verschmutzen. Eine unglaubliche Verschwendung! Diese Orgeln, die keiner
haben will, sind davon nur ein ganz, ganz kleiner Teil. Wir haben uns
einfach schon daran gewöhnt, damit zu leben. Alles, was wir nicht
brauchen, wird vernichtet und verbrannt. Und warum? Weil zu viel produziert
wird. Oder das Falsche. Einfach, weil schlecht geplant wird. Und warum
solltest ausgerechnet du die Verantwortung für diese Wahnsinnsfehler
haben?" (...)"Wer ist denn schon die Versicherungsgesellschaft?
Das sind wir alle. So eine Versicherung ist doch letztlich eine Kasse,
in die wir alle eingezahlt haben, um uns vor Unglücksfällen
zu sichern. Dein Lager ist ein solcher Unglücksfall. Es ist dein
Recht, aus einem Projekt herauszukommen, das nie das deinige war, zu
dem du gezwungen wurdest und das du
" (...) "Eine Versicherungsgesellschaft
- dahinter ein System, das sich überlebt hatte - sollte zur Finanzierung
seiner Verwandlung beitragen. Er selbst hatte dazu beigetragen, diese
Versicherungsgesellschaft und dieses System zu finanzieren."
Und schließlich drängt seine Frau ihn, eine Entscheidung
zu treffen. Sie drängte ihn, das Risiko einzugehen und übernahm
damit einen Teil der Verantwortung. Erleichterte die ganze Sache, wenn
es eines Tages so weit war. Übernahm ihren Teil der Schuld, vielleicht
weil sie erkannte, daß er die Schuld nicht allein tragen konnte.
Und schließlich sah er eine Chance in dieser Möglichkeit.
" Das war die Möglichkeit zur Veränderung. Die Möglichkeit,
aus der Falle herauszukommen, in die er gegangen war."
Er war gefangen, fühlte sich unfähig zu handeln. Ein Gefühl,
daß er schon seit ein paar Tagen hatte, vielleicht auch schon
länger. So, als ob alles zusammenstürzen würde und niemand
mehr da wäre. Keiner, der ihm in seiner Trostlosigkeit hätte
helfen können. Genauso war es damals bei seiner Scheidung gewesen.
Er war wie gelähmt und wußte nicht, was er tun sollte.
Aber alles ging schief. Er fuhr mit seiner Familie in den Urlaub und
schon in der ersten Nacht brannte das Lagerhaus ab. Aber dabei kamen
drei Menschen zu Tode. Und damit fingen die Sorgen von Niels Møller
erst richtig an. "Alles wirkte sehr unwirklich, wie eine Kulisse.
Er hatte den Überblick über sein Leben verloren und konnte
sich nicht vorstellen, wie er ihn jemals wiedergewinnen könnte.
Dachte, wie sein Leben sich wohl entwickelt hätte, wenn auch nur
ein kleines Teilchen radikal anders in seiner Kindheit gewesen wäre."
Und nun wird das Buch zu einem Exkurs über Schuld und Verantwortung.
Über die Frage, wer trägt die Schuld an einer Situation. Das
System, die Gesellschaft oder der Einzelne. Bodelsen schrieb dazu: "Mir
sind Romane ein Greuel, in denen die Schuld des Mörders auf die
Gesellschaft, das System oder was auch immer, jedenfalls etwas Abstraktes,
abgewälzt wird. Der Mensch trägt seine Verantwortung, und
wenn man keinen Gott im Himmel hat, dann ist man ganz schlicht sich
selbst verantwortlich. Eine unglückliche Kindheit ist keine Entschuldigung,
nicht einmal eine echte Erklärung. Wenn man die Schuld mit irgend
etwas teilen will, muß es etwas Konkretes sein; entweder ein anderer
Mensch oder irgendwelche Leute. Ich suche nach jemandem, mit dem ich
meine Schuld teilen kann."
Ein Mensch allein hat nie die ganze Schuld, sie kann geteilt werden;
wenn das nicht so wäre, könnte sie nicht ertragen werden.
Die Frage ist nur: Wie viele von uns teilen sich darin?
Und im Buch "Borte Borte": "Ich glaube, es tut einem
nur gut, für die Folgen seiner Handlungen einzustehen. Heutzutage
gibt jeder sofort der Gesellschaft oder dem System die Verantwortung.
Ich ziehe Menschen vor, die sagen: Das war mein Entschluß. Ich
bin dafür verantwortlich. Wenn es gut gegangen wäre, hätte
ich natürlich auch gern den Verdienst eingestrichen." (...)
"Ich ließ mich aber überzeugen. Ich glaube an das System.
Mit all seinen Risiken und Chancen." (...) Niels wollte sich ihm
gegenüber nicht verantwortlich zeigen. Also musste er dafür
einen anderen finden. Und konnte das ein anderer sein als er selbst?
"Nur einer ist schuldig", sagte er. "Der, der alle Entschuldigungen
hätte durchschauen können und dennoch ja sagt." (...)
"Und wenn wir jetzt schon über Verantwortung reden, wo fängt
das an, wo hört es auf?" "Das fängt mit einer Gesellschaft
an, die mehr produziert als sie verbrauchen kann. Eine Gesellschaft,
ein System, das durch seine eigenen Fehlplanungen stranguliert wird
und das nicht weiterkommt, ohne seinen eigenen Abfall laufend zu vernichten.
Dann kommt es eben so weit, daß man das Wegwerfen systematisch
betreiben muß, nicht wahr? Sowohl die Produkte als auch die Produktionsmittel.
Damit die Maschinerie weiterläuft und alle glücklich und zufrieden
sein können. Manchmal auch Ideen, Moral, die weggeworfen werden
Haltungen. Ja, sogar Menschen, überflüssige Arbeitskraft.
(
) Wir beide halten die Maschinerie nicht in Gang. Du, Møller
möchtest die Verantwortung genau zuordnen. Sie liegt genau da:
im System."
"Ich stimme nicht mit dir überein. Die Verantwortung beginnt
und endet bei dir und bei mir." Oder um Schillers "Wallenstein"
zu zitieren: "Wär's möglich? Könnt' ich nicht mehr,
wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt? Ich müßte
die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht. Beim großen Gott des
Himmels! Es war nicht mein Ernst, beschloßne Sache war es nie.
In dem Gedanken bloß gefiel ich mir; Die Freiheit reizte mich
und das Vermögen."
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Profis
und Amateure" von Anders Bodelsen
Recht und Ordnung - Profis und Amateure
Es ist sehr erfreulich, daß der dänische
Kriminalroman sein Standbein in den letzten Jahren gefunden hat. Daß
er sich als etwas anderes als eine Nachahmung von fremden, besonders
den angelsächsischen Traditionen, konsolidiert hat und sich auch
als charakteristische Erscheinung der zeitgenössischen dänischen
literarischen Landschaft darstellt.
Es gibt viele Gründe für diese stufenweise aber doch ganz
klare Entwicklung. Wir können bemerken, daß der Kriminalroman
jetzt auch offiziell in Dänemark als künstlerisches Mittel
des Ausdruckes sehr ernst genommen wird. Wir können auch betonen,
daß der Kriminalroman, insbesondere in den sechziger und siebziger
Jahren, aus dem Grund aufblühte, da er ein ausgezeichneter Träger
für das pointierte Aufzeigen der globalen, historischen und sozialen
Veränderungen war, denen das kleine Dänemark unterworfen war
und in den fünfziger und sechziger Jahre auch Teil davon gewesen
war. Oder um es in mehr literarischen Begriffe umzusetzen: Es zieht
eine Art und Weise des Schreibens nach sich, die bis dahin nur durch
eine kleine Anzahl von Autoren ausgeübt worden war, jetzt aber
offenbar attraktiver für andere geworden und aufgegriffen wird.
Nun gibt es einen neuen frischen Markt für diese Art des Romans
und die Kriminalromanliteratur ist von der Kälte des Zeitungskioskes,
der Trivialliteratur, in die Wärme und in den Komfort der Buchhandlungen
gekommen.
Die Essaysammlung "On the contrary" von 1961, der amerikanischen
Schriftstellerin Mary McCarthy, die 1966 ins Dänische übersetzt
wurde, war für die dänischen Neurealisten, wie Anders Bodelsen,
Henrik Stangerup, Chr. Kampmann, geradezu eine Programmerklärung.
Es handelt sich um künstlerische Prosa, bei der das empirische
Element eine entscheidende Rolle spielt. Der neurealistische Verfasser
soll erkennbare Situationen und Tatsachen erkennbar beschreiben. Dadurch
kann der Leser sich selbst und seine Umwelt im Roman wiedererkennen.
Dieser sozialpsychologische Realismus versucht, Zusammenhänge zwischen
sozialen Konventionen und psychischem aufzudecken. Der Psychologie gilt
das Hauptinteresse der Neurealisten: Warum reagiert ein Mensch in einer
bestimmten Situation auf eine bestimmte Weise? Die Romane dieser Zeit,
die im bürgerlichen Umfeld spielen, wollen die bürgerliche
Gesellschaft, zu deren System sie sich grundsätzlich bekennen,
kritisch analysieren. Diese Gegenwartsschilderungen beruhen oft auf
akribischer Quellenarbeit, daneben haben die meisten Verfasser auch
journalistische Erfahrungen gesammelt - viele Romane stehen deshalb
dem Dokumentarismus recht nahe.
Im Mittelpunkt des Interesses steht bei Bodelsen allerdings nicht -
wie im typischen Kriminalroman - das Verbrechen selbst und seine Aufklärung
von Motiv und Ursache der Tat, wie bei den sozialistischen Kriminalromanen
Schwedens (Sjöwall/Wahlöö), er beschreibt vielmehr Reaktion
und Verhalten eines Täters, der ein Verbrechen begangen hat.
Anschaulich kann man dies in der Kurzgeschichtensammlung "Profis
und Amateure" 1973 in Dänemark unter dem Titel "Lov &
orden" erschienen, nachvollziehen. In den neun Kurzgeschichten
werden sogenannte Normalbürger zu Tätern und gleichzeitig
aber auch zu Opfern. Ob es sich um einen Bankdirektor handelt, der verzweifelt
versucht einen Fehleinkauf, einen teuren Mercedes, loszuwerden, um die
Versicherung zu kassieren oder um einen einfachen Bankangestellten,
der dafür sorgt, daß er an seinem Urlaubsort endlich einmal
ruhig schlafen kann. Das sind harmlose "Allerweltsvergehen"
aber auch von Mord und Totschlag erzählt er in diesen Kurzgeschichten.
Ob es ein Giftmord mit Pilzen ist oder eine rätselhafte Geschichte
mit zwei identischen Zimmern. In sechs der neun Geschichten muß
der Kriminalassistent Brun die Ermittlungen aufnehmen. Und immer knackt
er die rätselhaften Geschichten in Sherlock Holmes Manier. Man
begegnet vielen Personen aus seinen Romanen wieder und vieles, welches
hier kurz skizziert wird, wird später zu einem Roman. Simonsen,
ein Bankangestellter aus "Geld zum zweiten Frühstück",
der die Konsequenzen seiner ersten offensichtlich ungesetzlichen Tat
seines Lebens nicht überblicken kann. Aber er hat gehandelt. Und
auch in der letzten Kurzgeschichte hat er noch einen Auftritt. Inzwischen
zum Erpresser geworden, wird er nun zum Mörder. Auch der Bankdirektor,
der in einer Geschichte versucht, seinen ungeliebten Wagen loszuwerden,
haben wir schon im Roman "Geld zum zweiten Frühstück",
kennengelernt. Dieser Versuch verändert sein Leben. Er lebt zuallererst
für den vollendeten kriminellen Plan, mit Hilfe dessen er sich
seines Wagens entledigen wollte, auf den er hereingefallen war. Das
eventuell moralisch verwerfliche an diesem Plan trat dabei völlig
in den Hintergrund; wichtig war allein der Plan und seine Erfüllung.
Und Kriminalassistent und spätere Kommissar Brun, der versteht,
daß es tatsächlich Menschen gibt, die sich unzufrieden fühlen;
und er begreift warum. Die Gesellschaft braucht die Unzufriedenheit.
Die kluge Gesellschaft aber versteht es, die unvermeidliche, unausweichliche
Unzufriedenheit in solche Bahnen zu lenken, daß eine drohende
Stagnation überwunden werden kann. Und das ist es ja gerade, was
die freie Gesellschaft von den Diktaturen in Süd und Ost unterscheidet:
Die freie Gesellschaft ist in stetiger Bewegung auf einem langen, langen
Weg zu neuen Zielen, neuen Herausforderungen, neuen Visionen.
Die Bücher von Bodelsen aus den mittleren und späteren '70er
Jahren kehren zu den Charakteren, zu den Konflikten und zu der erzählenden
Form seiner früheren Arbeiten zurück; z.B. wird die Geschichte
von "Tænk på et tal" weiterentwickelt in "Pengene
og livet" 1976. Jedes Mal, wenn er ein neues Buch schreibt, möchte
er etwas schreiben, was komplett verschieden ist von dem, was er zuvor
geschrieben hat, sagte Anders Bodelsen einmal. Aber quer durch seine
gesammelten Werke gibt es eine Qualität, die andeutet, daß
er, mehr als viele andere Kriminalschriftsteller, aktuell, beobachtend
und eindrucksvoll den modernen Menschen als ein Produkt der modernen
Gesellschaft beschreibt, in der manchmal ein hohes Risiko besteht Irre
zu gehen und entfremdet zu werden.
Zum Schluß noch einen Gedanken aus dem Roman "Straus":
Es besteht zweifellos ein Trend, den Kriminalroman sehr viel ernster
zu nehmen. (
) Er wollte über die Zukunft des Kriminalromans
schreiben und dabei die Frage erheben, ob man dem Genre damit nicht
etwas von seiner Lebendigkeit und Spontaneität nimmt, wenn man
es zu genau analysiert und nur als Vehikel für soziale, psychologische,
moralische oder sonstige Anliegen betrachtet. Bestand nicht das Risiko,
daß Kriminalschriftsteller durch all diese Analysen befangen und
nur widerspiegelnd werden könnten?
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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Der Fall
Birthe - "Bevisets stilling" von Anders Bodelsen
"Bevisets stilling", zu deutsch Beweislage,
erschienen 1973, ist eine von Bodelsens kraftvollsten Arbeiten, eine
intensive und genaue Studie von Menschen im Stadium des Zerfalls, die
auch Opfer der Veränderungen werden.
"Dieses Buch ist sehr nah an der Wirklichkeit und basiert auf einem
tatsächlichen Fall. Der Roman handelt über Lügen als
Werkzeug. Jemand beginnt mit dem Lügen und wird in einem Netz aus
Lügen verwickelt. Mit einem Chaos als Resultat", sagt Anders
Bodelsen.
Zum Tatsachenhintergrund des Romans "Bevisets stilling" wurde
ein Fall, der 1969 in Dänemark für Schlagzeilen sorgte (Der
Fall Birthe). Hauptfigur ist der Taxifahrer Martin Bendix, der verdächtigt
wird, einen Lustmord begangen zu haben. Er ist unschuldig, verwickelt
sich aber im Laufe der polizeilichen Vernehmungen in Widersprüche,
weil er sich weigert, ein paar Unstimmigkeiten in seinem Fahrtenbuch
aufzuklären. Dieser naive Versuch, sich selbst in ein günstiges
Licht zu setzen, führt - zusammen mit Bendix' schlechtem Gedächtnis
- dazu, daß er verhaftet und des Verbrechens angeklagt wird. Während
Bendix 19 Tage in Untersuchungshaft verbringt, ist sein Verteidiger
Roth bestrebt, die polizeilichen Beweise, die nur auf Indizien beruhen,
zu entkräften. Als ihm dies gelingt, wird Bendix nach einer erneuten
richterlichen Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. Kurz darauf
wird die Anklage zurückgenommen, Bendix erhält Schadenersatz.
Trotzdem fühlt er sich nicht rehabilitiert, die starke psychische
Belastung und das Gerede der Leute in der Kleinstadt führen schließlich
dazu, daß seine Nerven nicht mehr mitspielen. Er greift zu Alkohol
und Beruhigungstabletten, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich
zusehends. Der Roman endet mit dem Tod von Bendix durch Herzversagen.
In seinem Roman "Straus" wird die Handlung folgendermaßen
beschrieben:
(...)"Sehr gut. Soweit ich mich erinnere, war es ein Handlungsreisender,
oder?"
"Ja. In der bewaldeten Umgebung eines Landstädtchens in Jütland
wird die Leiche eines ermordeten und vergewaltigten Mädchens gefunden.
Die Polizei findet heraus, daß der Reisende der letzte Mensch
war, der sie lebend gesehen hat. Er wird zur Vernehmung mitgenommen,
und nach zwölfstündigem Grillen klagt man ihn des Mordes an,
nur weil er sie als letzter gesehen hat. Das Mädchen war für
seinen lockeren Lebenswandel bekannt, und der Reisende erschwert sich
die Lage dadurch, daß er zunächst abstreitet, die Nacht mit
ihr verbracht zu haben. Aber die Sache ist, daß sie - die Polizei
- den falschen Mann erwischt haben. Er hat sie nicht getötet.
(
) Was passiert: Der Mann wird zunächst angeklagt und für
drei Wochen in Haft genommen. Er kann kein Alibi beibringen, aber andererseits
hat die Polizei nicht mehr gegen ihn in der Hand, als daß er die
Nacht mit dem Mädchen verbracht hat. Ich möchte eine Geschichte
erzählen, die praktisch jedem zustoßen könnte - Ihnen
oder mir.
(
) "Dann will es der Zufall, daß der Mann an einen
jungen Anwalt gerät, der sich von dem Fall viel für sich selbst
verspricht. Nach drei Wochen muß die Polizei ihn wieder laufen
lassen, aber die Anklage wird nicht zurückgenommen. Die Polizei
ermittelt weiter; sie ist überzeugt, daß sie trotz allem
den richtigen Mann erwischt hat. Aber nach drei weiteren Wochen müssen
sie die Anklage wegen mangelnder Beweise zurücknehmen. Vielleicht
wäre das ja ein Titel - "Mangelnde Beweise".
"Bevisets stilling" zeigt, wie der kleine Mann in Schwierigkeiten
gerät, weil er nicht weiß, wie er sich im System zu verhalten
hat. Durch seine arglosen Verteidigungsmanöver verstrickt sich
Bendix immer weiter in die Sache. J. Heese weist in seiner Analyse des
Romans nach, wie das Schachspiel im Roman auf symbolischer Ebene zeigt,
warum Bendix im polizeilichen Verhör unterliegt. Beim Schach verliert
Bendix, weil er nicht aggressiv genug ist und weil er die Regeln des
Spiels nicht durchschaut. Im Leben ist es genauso. Während ihm
beim Schach seine Tochter weiterhilft, ist es im Leben der Anwalt Roth,
der ihm das nötige Wissen vermittelt. Die Kritik, die im Roman
an Polizei, Gefängniswesen und Rechtssystem geäußert
wird, wird in erster Linie von Roth vorgebracht: "Natürlich
sagt das Gesetz, daß die Polizei Ihre Schuld beweisen muß.
Aber in der Praxis sind Sie es, der Sie Ihre Unschuld beweisen müssen."
Der Roman beschreibt die Mängel und die unmenschlichen Seiten eines
Rechtssystems und porträtiert gleichzeitig den kleinen Mann und
das kleinbürgerliche Dänemark im Jahr 1973 - ähnlich
wie es in den realistischen Werken der dreißiger Jahre geschehen
ist. Die Probleme werden hier jedoch auf konkrete Zustände in der
Gesellschaft zurückgeführt - im vorliegenden Fall auf die
Behandlung eines in Verdacht geratenen Individuums durch Polizei und
Rechtsstaat und auf die Unfähigkeit des ungewandten und letztlich
hilflosen Kleinbürgers, das Vorgehen dieser Instanzen zu durchschauen.
Und somit ist "Bevisets stilling" ein gedankenprovozierender
Roman über das Rechtssystem, doch Dank seiner Kraft dient er auch
als robuster Sozialroman, der mit Wärme und Mitleid und von menschlichem
Verständnis erfüllt ist.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Rød
september" von Anders Bodelsen
Während "Mørklægning",
auf deutsch "Verdunkelung", über eine Periode in der
dänischen Geschichte handelt, die über sechzig Jahre her ist,
wendet sich "Rød september" mehr der Gegenwart zu,
den politischen Themen, die näher liegen: die Hitze des Kalten
Krieges, Stadtguerillas und Terrorismus. Der Roman ist gekennzeichnet
durch die gleiche Straffheit und Präzision, die auch charakteristisch
ist für "Mørklægning". Beide Romane erfordern
sorgfältiges Lesen und geben dem Leser zum Austausch eine große
Erfahrung.
"Rød september" ist ein gutes Beispiel dafür wie
Genrestücke, in der Verkleidung von Thrillern, wirklich dazu in
der Lage sind, das Zeitalter "an der Gurgel" zu packen, eine
scharfsinnige Diagnose zu stellen und die Art und Weise aufzuzeigen,
wie wir heute leben, während der "intellektuelle" Roman
sich, in einem egozentrischen Spiel mit Spiegelungen seiner selbst,
blockiert. "Rød september" ist ein überzeugendes
Stück Kunstfertigkeit, eine gründliche Kritik des Zeitalters,
ein glänzender Roman in jeder Beziehung. Besser als jedes andere
Genre reflektiert der Kriminalroman die schwerwiegenden politischen
Änderungen der Neuzeit; er gibt einen Fingerzeig auf eine Bewegung,
weg von den Utopien hin zu festgelegten Positionen. Anders Bodelsen
schrieb einen Thriller zu einer Zeit, als der Realismus anfing im Genre
des Kriminalromans Wurzeln zu schlagen. Er hat es darauf angelegt, es
bei einem einmaligen Ereignis zu belassen. Aber er fuhr fort, diese
Art Romane zu schreiben, und trug damit wirksam dazu bei, das Genre
zu entwickeln und zu verfeinern und hat maßgeblich mitgeholfen,
es näher an die "gewöhnliche" Literatur heran zu
bringen.
"Der Thriller heutzutage ist ohne irgendeine wohldefinierte Form
und die Distanz zwischen der Kriminalliteratur und der anderen Literatur
besteht eigentlich nicht mehr länger," sagt Anders Bodelsen.
"Rød september", Bodelsens Roman von 1991, ist ganz
offenbar eine Rückkehr zu den Themen seiner früheren Arbeiten
und eine Variation eines typischen Highsmith Plots. Zwei Brüder,
Jens und Søren, ihren Konflikt und doch auch über ihr Gefühl
der Loyalität zueinander und zu ihrem Umfeld, der Welt und ihrer
Ideale. Der duale innere Charakter ist in zwei Personen aufgespalten,
ein "nach außen schauender" Janus Kopf, der auf die
Schultern der zwei Brüder, Jens und Søren, platziert ist,
die sich in ihren direkten Veranlagungen, existentiell und politisch,
in ihren eigenen Richtungen entwickelt haben. Sie haben sich als Kontraste
entwickelt, nicht nur direkt miteinander, sondern auch in eine solche
Richtung, daß sie eine dialektische Diskussion über das heutige
Dänemark darstellen.
Eines Tages fängt Jens, ein vor kurzem geschiedener Staatsbeamte,
einen flüchtigen Eindruck seines Bruders Søren in einem
Kopenhagener Vorort auf. Nicht das irgendetwas daran wirklich merkwürdig
sein könnte. Kopenhagen ist immer noch eine kleine Hauptstadt.
Doch die teuflische Energie in diesem Fall liegt in der Tatsache, daß
Søren vor fünf Jahren für tot erklärt wurde. Er
starb in einer Lawine in Österreich, und keine andere als die Frau
von Søren, Vera, identifizierte seine Leiche.
Politischer
Nebel
Diese faszinierende Eröffnung, wenn wir nicht
sicher sein können, ob Jens phantasiert oder Vera lügt, entwickelt
sich zu einem fesselnden politischen Plot. In seiner Jugend war Søren
fanatisch links, später wurde er Journalist bei Jyllands-Posten,
Dänemarks konservativster Zeitung. Oder etwa doch nicht? Heißt
das, er, wie so viele andere linke Radikale der Sechziger schwenkten
um zu den rechten Ansichten, denn es war diese Ausrichtung, in der sie
ihre zukünftigen Karrieren, mit alleinstehenden Häusern, Volvos
und Haushunde sahen. Das war zweifellos das, was Jens tat. Und da er
ein beachtlicher Wirtschaftswissenschaftler mit sozial-demokratischen
Ansichten ist, ist es wie ein Dorn in seinem Fleisch, daß seine
Tochter Laura zu einem Yuppie und hingebungsvollen Anhänger des
Außenministers der Liberalen Partei Dänemarks aufgewachsen
ist. Was ist schief gelaufen die ganzen Jahre über, wurde zu einer
existenziellen Frage für Jens. Nicht nur wegen seines eigenen deprimierenden
Lebens im alten Haus seiner Eltern, sondern auch, weil sich die Gegenwart
so radikal geändert hat. Der dänische Sänger Carl Brisson,
der gewöhnlich ein Lied über das kleine Kopenhagen singt,
in dem es an nichts mangelt, und John Lennons utopisches Kredo, sind
Leitmotive, die ständig in dem Buch wiederkehren. Als Søren
schließlich wieder auf seinen Bruder in Kopenhagen trifft, der
ernstlich verwundet wurde, bei einer abschließenden Mission im
Namen seiner unterstützenden Freunde in der PLO, nimmt der Plot
eine beschauliche Wendung und kehrt zu einem alten Thema von Bodelsen
zurück: Die Geborgenheit der Kindheit, die verfliegt, während
die zwei Brüder jeder seines Weges geht. Einer betritt die goldene
Prachtstraße des Kompromisses, der andere den romantischen Weg
der politischen Verpflichtung. Es verrät nicht zu viel über
die Ansichten in diesem Roman, wenn man sagt, daß eine Enttäuschung
sie beide erwartet.
Sie sind nicht mehr jung, und die Welt, die einmal so bequem in Ost
und in West geteilt schien, ist in einen moralischen Nebel und in einen
politischen Dunst gewandelt. Søren und Vera haften immer noch
aneinander in einer Art "Liebe, die über den Tod hinaus andauert".
Aber Jens, der immer schon in Vera verliebt gewesen ist, muß feststellen,
daß eine Prinzessin nur in einem "Mittelklassenhaus"
als Traum beibehalten werden kann. Søren bewegt sich in Richtung
zu einem unsicheren Schicksal als Krüppel in Berlin, während
Jens in seinem kleinen Leben in einen tiefen Biedermeierschlaf fällt.
Man kann kritisieren, daß "Rød september" zum
Ende hin seine Richtung ändert und von einem politisch engagierten
Thriller zu einem melancholischen Kammerspiel für drei Leute mit
einer verhätschelten Erziehung wird. Man kann ihn auch als Abrechnung
mit dem Kommunismus lesen, mit Søren als Figur, der zurückkommt,
um mit dem Kommunismus aufzuräumen. Auch so kann die Symbolik in
diesem bewegenden und ziemlich traurigen Roman erfahren werden.
"Søren ist im wesentlichen immer noch ein Kommunist der
außerdem noch zu einem Fundamentalismus konvertiert ist. Er distanziert
sich von den Freunden seiner Jugend und lässt sie glauben fanatisch
zu sein. Er selbst aber ist nicht fanatisch. Er sieht Gewalt als etwas,
die nur ausgeübt werden darf, wenn sie gerechtfertigt ist, und
lehnt Gewalt um der Gewalt willen ab".
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
© Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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"Veränderung
- Geld zum zweiten Frühstück" von Anders Bodelsen
Ein Autor, der seit den sechziger Jahre in Abständen
ernsthafte Kriminalromane geschrieben und die moderne dänische
Prosa auf den Bücherregalen repräsentiert, ist Anders Bodelsen.
Er selbst ist nicht besonders glücklich, als Kriminalautor klassifiziert
zu werden. Aber Bodelsen ist mehr als jeder andere dänische Autor
in der Art und im Inhalt durch den moralischen und psychologischen Thriller
beeinflusst worden.
Bevor Anders Bodelsen 1968 zwei seiner erfolgreichsten Bücher veröffentlichte,
hatte er bereits zwei Kurzgeschichtensammlungen und zwei Romane veröffentlicht.
Der Kriminalroman genoß zu dieser Zeit keine besonders hohe Achtung
als Literaturgattung. Noch bevor er "Tænk på et tal"
veröffentlichte, verteidigte Bodelsen sein Buch. Er befürchtete,
dass er beschuldigt wird, realitätsferne Unterhaltung darzubieten
und den Verkaufsspekulationen nachzugeben. "Aber", so schrieb
Anders Bodelsen einmal, "ein Thriller, ein Kriminalroman, ist nicht
etwas, was man der "Zweiten Klasse-Literatur" zuordnen kann.
Sie hat, zugegebenermaßen zu unterhalten, und die äußerliche
Handlung muß mit einem aufregenden Tempo vorangetrieben werden,
und das Schreiben muß unerwartet und lebhaft sein". Und es
muß gesagt werden, das Buch kam und siegte, wodurch Anders Bodelsen
in großem Maße ein Mitwirkender in der Entwicklung des Kriminalromans
wurde und mithalf, ihn näher an die anderen Formen der erzählenden
Romanliteratur zu bringen, der Literatur zugehörig. Nun legte er
also seine ersten Kriminalromane vor, die Thriller "Tænk
på et tal" und "Hændeligt uheld". Der Kriminalroman
"Tænk på et tal" (dtsch. "Geld zum zweiten
Frühstück") bedeutete den Durchbruch bei den Lesern und
überzeugte viele Rezensenten und sie verglichen ihn mit der amerikanischen
Autorin Patricia Highsmith. Dies ist vermutlich mit der Tatsache verbunden,
daß er häufig in seiner Arbeit als Filmrezensent mit Verehrung
über Alfred Hitchcock schrieb. Ein Regisseur, der nicht nur einen
Roman von Highsmith verfilmte, sondern dessen gesamte Auswahl an psychologischer
Spannung eine geistige Verwandtschaft mit ihr zeigt, bis hin zu thematischen
und ästhetischen Details.
"Leute dachten, daß ich von Patricia Highsmith beeinflusst
war, als ich es schrieb", sagte Anders Bodelsen einmal in einem
Interview. "Aber tatsächlich habe ich sie bis dahin nicht
gelesen. Andererseits bedeutet Georges Simenon viel für mich, als
Quelle der Inspiration; nicht die Maigret Romane, jedoch seine anderen
Werke, hauptsächlich der Roman "L'homme qui regardait passer
les Trains" (1938). Ich bin mir bewusst, daß meine zugrundeliegende
Handlung auf keinen Fall einzigartig ist. Es gibt einige Bücher
über jemand, der entdeckt, daß ein Verbrechen geplant wird,
und es für seine Zwecke an sich reißt."
Was er mit "Tænk på et tal" erreichen wollte,
und er war sehr erfolgreich in seiner Absicht, war, eine Geschichte
zu erzählen über einen Mann, der, wie er es nannte, ohne Sinn
für Solidarität war; ein Mann, der aus dem System und von
den Idealen ausbricht, die von ihm erwartet werden, aber dem es selbst
an eigenen Ideen oder an System fehlt. Wie in mehreren der folgenden
Bücher, ist "Tænk på et tal" die Geschichte
von jemandem, der, wegen einer Reihe zufälliger Übereinstimmungen
in einer Situation, gleichzeitig zum Täter und Opfer wird - ein
Opfer des Zufalls.
Wo andere Autoren, um 1968, unter der Beeinflussung der Jugend- und
Studentenrevolution, politische Literatur schrieben, nimmt Bodelsen
allmählich einen skeptischen Abstand zu den zeitge-nössischen
rebellischen Tendenzen ein. Es scheint ihm, daß bloße Sozialkritik
ein wenig zu einfach ist, wenn sie nicht Hand in Hand mit einer Diskussion
über moralische Fragen einhergeht: einerseits sollte der Wohlfahrtsstaat
der Einzelperson nicht die Würde und Freiheit berauben; aber andererseits
besteht die Freiheit für die Einzelpersonen hauptsächlich
aus der Freiheit, um zwischen Richtig und Falsch zu wählen und
sich seiner Verantwortung bewusst zu sein, einschließlich der
Verantwortlichkeit, die Freiheit für andere zu schützen.
"Ein Verbrecher ist ein Einzelgänger und Egoist, im extremen
Fall ein Egomane. Ein Verbrecher, allgemein gesprochen, kann jedermann
sein, da wir alle Gefahr laufen zu stürzen, Opfer des Zufalls und
der Gelegenheit, nach dem Motto: Gelegenheit macht Diebe. Ich habe mir
folgende Frage gestellt: Angenommen, ich habe die Gelegenheit eine Million
Kronen zu bekommen, auf Kosten des Lebens eines mir völlig unbekannten
Chinesen, würde ich sie nehmen? Ich würde zweifellos niemanden
trauen, der diese Frage mit nein beantwortet".
Das Leben ist eine bemerkenswerte Quelle der Inspiration, und das dies
als Magnet dient, für die Ideen einer Handlung, ist etwas, was
wir nachvollziehen können. Zum Beispiel wenn Bodelsen zurückschaut
auf eine Episode, die dem Erscheinen von "Tænk på et
tal" vorausging:
"Es war auf der Bank, als ich dabei war, Geld abzuheben. Als ich
am Schalter an der Reihe war, riss der Kassierer das erste Blatt des
Formulars ab, sah den Durchschlag, und erklärte, daß ich
ein neues ausfüllen müsste, da ein Kunde vor mir meines als
Unterlage benutzt hatte. Was dieser Kunde geschrieben hatte, ging bis
zu meiner Kopie durch. Ich füllte ein neues Formular aus. Und ich
hatte die Idee".
In dem Roman beschäftigt sich Bodelsen mit den gewöhnlichen
Personen der Mittelklasse, die kriminell werden. Nach Ansicht des Autors
ist das Schlüsselwort: Identifikation, im Sinne von: Könnte
ich es gewesen sein? Wie würdest du selbst es anstellen?
Und so hat er es angestellt:
Es war einmal ein Weihnachtsmann, der eine Bank ausrauben wollte. Er
wurde bei seinem Vorhaben gestört, nachdem er etwas auf ein Stück
Papier geschrieben hatte, das nur der Bankkassierer zu sehen bekommen
sollte. Er nahm den Zettel mit. Aber er übersah, daß er beim
Schreiben ein Formular mit karbonisierter Rückseite als Unterlage
benutzt hatte. Nun räumte zufällig an diesem Abend der Bankkassierer
an dem Tisch auf, an dem der Weihnachtsmann gesessen und geschrieben
hatte. Später beobachtete der Kassierer alles, was in und um die
Bank herum passierte. Er entdeckte ein Motorrad mit schwedischem Nummernschild,
und er sah einen Weihnachtsmann. Allmählich festigte sich seine
Annahme, daß dies ein falscher Weihnachtsmann sei. Und eines Tages
folgte er dem Motorrad und begegnete auf dem Weg zum Campingplatz einem
Auto. Er war ziemlich sicher, zwei Personen in dem Auto gesehen zu haben.
Und weißt du, was sich der Kassierer in den letzten Tagen gedacht
hat? Er hat sich gedacht, daß die zweite Person wohl ein hübsches
junges Mädchen gewesen war. Und er meint, daß man sich strafbar
macht, wenn man in Autos mit falschen Weihnachtsmännern fährt,
die versuchen, Banken auszurauben. Und er glaubt, daß dasselbe
Mädchen am Steuer saß, als der Weihnachtsmann es in einer
anderen Bank versuchte und dann kalte Füße bekam und floh.
Über all dies hat der Kassierer sehr viel nachgedacht. Und dann
dachte der Kassierer, daß er von dem schönen Geld, das er
in seiner Kasse hatte, lieber etwas beiseite legen sollte, falls der
Weihnachtsmann wiederkommen würde. Und das tat er auch. Und der
Weihnachtsmann kam wieder, aber diesmal hatte er eine Sonnenbrille auf
und einen Filzhut, und alles was der Kassierer ihm auslieferte, waren
10 000 Kronen. Und der Bankkassierer zweigte 178 000 Kronen für
sich ab.
Aber damit fängt das Verhängnis an. Nachdem alles gut zu funktionieren
schien, kamen nun die Schwierigkeiten. Der geprellte Bankräuber
meldet sich und fordert seinen Anteil. Verfolgt ihn, dringt in seine
Wohnung ein. Die Polizei verhört ihn. Ständig hat der Kassierer
das Gefühl der Unsicherheit: "das Gefühl einer offenen
Tür in seinem Rücken nahm zu".
Aber da ist es wieder, das Gefühl von Veränderung, die undeutliche
und animierende Zukunftsvision einer Veränderung, die ihm schon
während seiner ganzen Jugend nebelhaft vorgeschwebt, sich aber
im Laufe der Jahre weiter und weiter entfernt hatte. Veränderung.
Die Welt erschien ihm offen und voller Möglichkeiten, obwohl er
nichts weiter vorhatte - oder vielleicht gerade deswegen. Ein Wort begann
sich in ihm zu formen: Veränderung. Das Wort bekam einen magischen
Klang.
Er schaffte es, zusammen mit der Freundin des Bankräubers, die
sich auf seine Seite schlägt, das Geld in Sicherheit zu bringen.
Bis, ja bis, der Bankräuber aus dem Gefängnis entlassen wird.
Und es zum Zusammentreffen kommt: "Er dachte daran, daß ja
ursprünglich er der Schlauere gewesen war. Er war schlauer gewesen
als alle anderen. Bis jetzt war alles gut gegangen, konnte es nicht
noch einmal gut gehen? Aber ihm fiel nichts ein, wie er an den anderen
herankommen sollte. Der Mann hatte den Revolver immer noch in der Hand
und würde ihn rücksichtslos benutzen, daran war kein Zweifel".
Zum Schluß gibt es einen Toten. Einer ist zum Mörder geworden,
einer zum Erpresser und die dritte Person setzt sich ab. Alles was die
Veränderung für den Kassierer brachte, war eine unendliche
Müdigkeit, eine Leere die zur Depression wurde. Ein Gefühl
der Sinnlosigkeit stellte sich ein. Sein ursprüngliches Mitteklasseleben
liegt in Trümmern und er muß nun alles daran setzen, seinen
Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das Ende aber ist offen.
Interessant an diesem Roman ist auch, daß Bodelsen sich mit diesem
Kriminalroman auf einen unvollendeten Roman von Charles Dickens bezieht:
"Ich erinnere mich innig daran, daß mein Vater "The
Mystery of Edwin Drood" (1870) laut vorlas, wie es seine Gewohnheit
war. Der Roman wäre wahrscheinlich nie so berühmt geworden,
wie er schlußendlich wurde, wenn es Dickens gelungen wäre,
ihn vor seinem Tod zu beenden. Dickens hatte gewisse Probleme mit diesem
Roman und "The Mystery of Edwin Drood" gehört zu den
größten Rätseln in diesem Genre und das Buch an sich
ist ein Rätsel, das niemals gelöst wird.
Das in seinem Gesamtwerk zu beobachtende wachsende Interesse Dickens'
an der Psychologie des Verbrechens intensivierte sich in den späteren
Jahren unter dem Einfluß seines Freundes Wilkie Collins, des führenden
zeitgenössischen "Thriller"-Autors. In seinen letzten
Romanen rückte Dickens düstere Geheimnisse und ihre Aufdeckung
immer mehr in den Mittelpunkt, widmete er sich immer dezidierter der
Schilderung psychisch labiler Charaktere, die verbrecherische Handlungen
fähig sind. Mit dem unenthüllten Geheimnis haben sich seither
Generationen von Lesern beschäftigt. Wenn "The Mystery of
Edwin Drood" als rätselhafte Detektivgeschichte aufgefasst
werden sollte, könnte es ein wenig überraschend erscheinen,
daß es Anders Bodelsen in diesem Umfang angespornt haben soll.
Wenn es eine Sache gibt, für die Bodelsen nicht berühmt geworden
ist, so ist es die als Autor für das, was wir klassische "Whodunits"
nennen könnten.
Und so wie "The Mystery of Edwin Drood" ein offenes Ende hat,
hat auch "Tænk på et tal" ein Ende, welches viele
Möglichkeiten offen läßt und Spielraum für die
Phantasie der Leser schafft.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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