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Literaturportal schwedenkrimi.de: Es ist sehr angenehm dieses Interview auf Deutsch führen zu können. Woher kommen Deine guten Deutschkenntnisse? Vom Aufenthalt an der Albert-Ludwig Universität in Freiburg? Ævar Örn Jósepsson: Ja, natürlich. Literaturportal schwedenkrimi.de: Welche Erinnerungen hast Du an Deutschland? Ævar Örn Jósepsson: Überwiegend sehr angenehme Erinnerungen, es war eine schöne Zeit – wie könnte es auch anders sein? Ich war jung, verliebt, wurde zum zweiten Mal Vater, lernte viele, liebe und interessante Menschen aus aller Welt kennen, das Bier war billig, die Zigaretten auch, und die Sonne schien... ein wenig zu viel, manchmal; 35°C ist etwas zu viel für einen Isländer – oder für mich, wenigstens. Wenn es noch dazu so schwül ist, wie es in Freiburg sein kann, dann wird’s besonders unangenehm. Dazu noch eine Erinnerung: Die Mühe, die ich hatte, mir zu merken, dass das Wetter schwül, Männer aber schwul sein können und nicht anders herum...oder ist’s umgekehrt... Noch ist die Lesung in Berlin die einzige, aber das wird sich hoffentlich ändern – ich würde nur zu gerne eine Lesetour in Deutschland machen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Du hast Journalismus, Politikwissenschaften und Philosophie studiert und auch englische Literatur. Und man stellt fest, dass die isländischen Schriftsteller/innen, wenn man ihre Biografien liest, immer sehr vielseitig waren und sind. Ob nun im Studium oder in ihren Berufen. Sehr viele auch mit einem Auslandsstudium. Woher kommt diese Vielseitigkeit? Ævar Örn Jósepsson: Ich kann natürlich nur für mich sprechen, und in meinem Fall war’s halt ganz einfach so, dass ich als 20-jähriger noch nicht genau wusste, was ich tun wollte. Ich glaube, das ist nicht so ungewöhnlich, auch in Deutschland nicht. Nach dem Abitur habe ich deshalb ein paar Jahre gejobbt, bis ich mich für Journalismus – oder media studies, wie es hieß, entschieden habe, und bin nach Schottland gegangen, um eben das zu studieren, mit Politik und Philosophie als Nebenfächer. Fand dann die Philosophie viel interessanter als Medienwissenschaft, und habe darauf Fach und Land gewechselt – bin in das Mutterland meiner Frau, sowie der modernen Philosophie gezogen, und Anglistik als zweites Hauptfach gewählt, weil ich mir das Leben leichter machen wollte – aus Faulheit, also. Ich wusste aber immer, dass ich im Ausland studieren wollte. Das Leben auf der Insel hat zwar einiges für sich, aber ich wollte halt die weite Welt sehen – den Horizont erweitern. Ich glaube, das kreative Leute, egal ob Schriftsteller, Musiker, Filmemacher, Maler oder wer auch immer, ob Isländer, Deutsche oder Dänen, diesen Drang spüren, was Neues, was Anderes zu erleben. Und dies gilt nicht nur für Künstler, sondern für alle, die überhaupt daran interessiert sind, ihr Leben und Denken zu bereichern, seien es Politiker, Philosophen, Anwälte, Busfahrer oder Bauarbeiter. Oder eben Schriftsteller – und ich muss zugeben, dass es wahrscheinlich keinen Beruf gibt, wo vielseitige Erfahrung wichtiger und praktischer ist, als eben bei uns, auch wenn Oscar Wilde es vielleicht anders gesehen hat... Literaturportal schwedenkrimi.de: Auch Du hast schon viele Jobs hinter Dir, wenn meine Informationen stimmen. Du hast auf einem Fischerboot gearbeitet und als Arbeiter im Sommer hier und da. Du warst Bankangestellter, hast Fernseh- und Radioprogramme gemacht. Und dann bist Du natürlich auch Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Wenn ich die Isländer danach frage, wieso sie in so vielen Berufen tätig sind, verstehen sie die Frage meistens nicht, denn für sie ist es nur natürlich. Wahrscheinlich auch für Dich?
Das Letzte zuerst: Ich verstehe schon die Frage, aber ja, für mich ist es auch ganz natürlich, viele und unterschiedliche Berufe zu haben, sowohl gleichzeitig als auch durch die Jahre hindurch. Vielleicht hat es irgendetwas damit zu tun, dass man auf Island vom Schreiben alleine kaum leben kann, das Publikum ist ja eher begrenzt... Und vielleicht – wahrscheinlich, sogar – liegt es hauptsächlich daran, dass wir eine kleine, isolierte Nation sind, was – früher wenigstens – bedeutet hat, dass wir uns eine allzu große Spezialisierung einfach nicht leisten konnten, und auch nicht, einfach herumzulungern. Jeder musste vieles machen können, sonst hätte gar nichts funktioniert. Industrialisierung und Urbanisierung sind in Island spät angekommen, wir waren vor allem eine Bauern- und Fischernation bis zum zweiten Weltkrieg, und der Schulkalender richtet sich immer noch danach, wenigstens teilweise. Früher waren die Kinder und Jugendlichen wichtige Arbeitskräfte auf dem Land und beim Verarbeiten des Fischfangs, und die Schule musste sich danach richten. Jetzt müssen wir uns zwar – offiziell, zumindest – den EU-Richtlinien unterordnen, und Kinder unter 14 – oder sind es 15 Jahre? dürfen deshalb nicht richtig arbeiten, und sowohl die Bauernhöfe als die Fischfabriken sind dermaßen modernisiert worden, dass die Kinder und Jugendlichen meistens für die Arbeit weder gebraucht werden noch qualifiziert sind. Das ändert aber – bis jetzt – noch nichts daran, dass wir es gewohnt sind, dass, sobald man alt genug ist, um sein eigenes Geld zu verdienen, es auch tut – während den Semesterferien sowieso. Das tun alle und haben es schon immer getan, und auch, wenn es geht, während des Schuljahres. Und bis man eine Ausbildung hat, nimmt man halt eben den Job, den man kriegen kann... Literaturportal schwedenkrimi.de: Du hast auch einmal in einem Film mitgespielt In „Teufelsinsel“ 1997. Ein Film nach dem Buch von Einar Karasson und von dem Regisseur Friðrik Þór Friðriksson, der auch den Film „Children of Nature“ gedreht hat. In den Film hast Du den “Maggi“ dargestellt. Wie kamst Du zu der Rolle? Und gibt es wieder einen Ausflug ins Schauspielfach? Ævar Örn Jósepsson: Zu der Rolle bin ich durch meine Bekanntschaft mit Friðrik Þór gekommen. Er war es nämlich, der mich und meinen Kumpel, Gísli Snær Erlingsson, 1986 für ein Fernsehprogramm angeheuert hat. Er wurde als Produzent/Regisseur für dieses Programm angeheuert, dann wurde per Annonce nach Moderator(inn)en gesucht. Wir haben uns beworben – und Friðrik überzeugt, dass wir die richtigen sind. Das war eine schöne Zeit, eine lustige und wertvolle Zeit. Ob ich mich wieder daran versuche, Schauspieler zu sein, weiß ich nicht – allerdings gibt’s einen Charakter in meinem neuesten Buch, den ich gerne spielen würde, wenn es soweit ist... Literaturportal schwedenkrimi.de: Welche Tätigkeit oder Tätigkeiten machst Du im Moment? Von der Schriftstellerei allein kann man ja wahrscheinlich nicht leben. Du hast auch Familie und das Leben auf Island ist nicht gerade billig. Ævar Örn Jósepsson: Das Leben auf Island ist in der Tat nicht billig, und wird nicht billiger... Aber es geht. Ich schreibe, ich moderiere eine wöchentliche Talkshow im Radio und dann arbeite ich gerade am Drehbuch für eine Fernsehserie, die auf meinen Büchern basiert. Und das macht höllisch Spaß... Außerdem mache ich das Eine und das Andere so nebenbei, wie zum Beispiel das jährliche Quiz für Journalisten und Medienleute im Radio, und Murder-mystery-weekends in einem abgelegenen Luxushotel, Búðir auf Snæfellsnes. Literaturportal schwedenkrimi.de: Ævar Örn, Du bist einer von acht isländischen Kriminalschriftsteller/innen, die Bücher in Deutschland veröffentlicht haben. Und mit Stefán Máni kommt im September der neunte dazu. Für so ein kleines Land, gemessen an der Bevölkerungszahl, doch sehr beachtlich. Woher kommt dieser Boom? Ævar Örn Jósepsson: Klingt vielleicht zu einfach, aber ich wage es trotzdem zu behaupten: Erstens war es endlich soweit, dass isländische Schriftsteller gute Krimis schreiben konnten – und es auch getan haben. Zweitens waren isländische Herausgeber endlich bereit, an isländische Krimis zu glauben. Und drittens, dass isländische Leser bereit waren, isländische Krimis zu lesen – und zu kaufen. Das alles zur gleicher Zeit eingetroffen ist, war ein glücklicher Zufall... Literaturportal schwedenkrimi.de: Ævar Örn, darf ich Dich auch fragen, wie Du dazu gekommen bist, Kriminalromane zu schreiben? Auch wie so viele, durch das Lesen der amerikanischen Thriller? Und hast Du auch einen Favoriten unter den Krimischreibern? Ævar Örn Jósepsson: Amerikanische, englische, skandinavische, deutsche, und österreichische Krimis... Ich bin kein großer Thriller-Fan, ich bin mehr ein Who-dunnit-Typ. Ich habe schon seit Jahren, nein, Jahrzehnten gewusst, dass ich Schriftsteller werden wollte – und habe schon immer viel geschrieben. Aber erst durch die – sehr späte – Einsicht, dass ich vielleicht versuchen sollte, zu schreiben, was ich auch am liebsten las (nämlich Krimis) – gelang es mir endlich, einen Text zu schreiben, den ich nicht gleich in den Papierkorb geschmissen habe. Und nein, ich habe keinen, eigenen Favoriten unter den Krimischreibern, es gibt recht viele, die ich besonders gern lese. Um einige wenige zu nennen: Friedrich Ani und Wolf Haas aus dem deutschen Sprachraum, aus England Mark Billingham, Colin Dexter und Reginald Hill, aus Amerika die beiden MacDonalds und natürlich Hammett und Chandler, aus Skandinavien Mankell, Kim Småge, Jo Nesbö, Leena Lehtolainen und, ganz besonders, Harri Nykänen. Die meisten meiner isländischen Kolleg(inn)en sowieso. Aber die absoluten Favoriten – und die Autoren, die mich am meisten beeinflusst haben – sind Ed McBain und Sjöwall & Wahlöö, Ian Rankin und, last but not least, Håkan Nesser – er ist der absolute Favorit, muss ich zugeben. Literaturportal schwedenkrimi.de: Um noch einmal auf Deine Deutschkenntnisse zurückzukommen. Wie groß war Dein Anteil an der deutschen Übersetzung von "Dunkle Seelen", Deinem ersten in Deutschland veröffentlichten Buch? Hast Du diese noch einmal durchgesehen? Ævar Örn Jósepsson: Eine heikle Frage – laß es mich so ausdrücken: Ich habe die Übersetzung mehr als einmal durchgesehen – und falls es dazu kommt – was sehr wahrscheinlich ist – dass noch weitere Bücher von mir in Deutschland erscheinen, dann werden die von einem anderen Übersetzer übersetzt... Literaturportal schwedenkrimi.de: Dann ist es abzusehen, dass ein weiteres Buch von Dir in Deutschland erscheinen wird? Bisher ist ja nur noch eine Kurzgeschichte veröffentlicht worden. Ævar Örn Jósepsson: Wie gesagt, wahrscheinlich – und hoffentlich – werden noch weitere Bücher von mir ins Deutsche übersetzt. Wann die herausgegeben werden, ist eine andere Frage. Literaturportal schwedenkrimi.de: Und jetzt kommen wir auf Dein Buch „Dunkle Seelen“ zu sprechen. Es ist das zweite von den vier bisher erschienen Kriminalromanen in Island. Das erste erschien 2002 „Skìtadjobb“ und das bisher letzte im Jahr 2006 „Sá yðar sem syndlaus er“. In allen Krimis tritt das gleiche Team von Ermittlern auf. Also kein Kommissar, der allein die Geschichte trägt. Hast Du Dich gleich auf dieses Team festgelegt? Ævar Örn Jósepsson: Ja. Und nein: Im ersten Roman waren es hauptsächlich zwei Charaktere, die am Zug waren, mit drei anderen. Im Zweiten "Dunkle Seelen", waren es gleich fünf, aber der eine wurde mir allmählich zu langweilig und nervig, und so habe ich im selben Buch dafür gesorgt, dass er aus dem Team verschwinden würde. Ich habe mich aber schon am Anfang dafür entschieden, dass es nicht nur um einen Helden gehen sollte, sondern um ein Team – Polizeiarbeit ist ja hauptsächlich Teamarbeit, und es hat mich gereizt und interessiert, mit diesem Konzept zu arbeiten. Dabei hatte ich sowohl die Romane von Ed McBain, Sjöwall & Wahlöö und Håkan Nesser im Kopf. Die haben zwar alle einen Helden im Mittelpunkt, aber das Team spielt auch eine wichtige Rolle. Nesser geht noch einen Schritt weiter als die anderen. Van Veeteren wird fast zum Nebencharakter in einigen seiner Krimis, auch wenn er als eine Art graue Eminenz fast omnipresent ist. Ich wollte noch einen Schritt weiter gehen – und das Team als Ganzes, als Hauptcharakter darstellen. Dass der eine Charakter mehr Raum kriegt als der andere, ist dabei Nebensache. Für mich, wenigstens. Literaturportal schwedenkrimi.de: Ich nehme an, auch in Deinem nächsten Kriminalroman wird dieses Team wieder ermitteln? Gibt es schon einen fünften Krimi? Ævar Örn Jósepsson: Der fünfte Krimi ist unterwegs und ja, das gleiche Team wird ermitteln. Literaturportal schwedenkrimi.de: Du hast einmal beklagt oder festgestellt, das die neueren Kriminalromane sich immer mehr dazu entwickeln, die Techniken der Ermittlung, die moderne Spurensuche mit Chemikalien, die Forensik und die Gentechnologie usw. in den Vordergrund zu stellen. Ganz nach dem Erfolgsmodell von CSI oder den Romanen von Kathy Reichs. Du scheinst das nicht zu mögen. Fehlt Dir die etwas althergebrachte Form, mit seinem Verstand und seinen Augen, also seinem Spürsinn, auf die richtige Spur zu kommen? Die Spurensicherung und die Forensiker in Deinen Krimis kommen bei Dir zum Beispiel nur am Rande vor. Ævar Örn Jósepsson: Festgestellt habe ich das sicher, das ist ja kein Geheimnis und ist leicht fest zu stellen. Ich weiß nicht, ob ich dass jemals beklagt habe, wenn dies aber der Fall ist, dann kann ich nur sagen, dass ich es nicht mehr tue. Es hat nämlich keinen Sinn, so etwas zu beklagen. Die Autoren schreiben halt, was sie schreiben möchten, und die Leser lesen, was sie lesen wollen. Ich persönlich mag diese Geschichten nicht, aber das ist einfach eine Geschmacksfrage – was der Eine mag, mag der Andere nicht. Ob mir die „etwas althergebrachte Form“ wie Du es ausdrückst, fehlt, wo die Detektive ihren Spürsinn zur Geltung bringen? Nein. Wieso? O.k., im CSI und Kathy Reichs Romanen fehlt es daran, aber ich lese halt nicht Kathy Reichs Romane, und wenn ich mir CSI ansehe, was ich ab und zu gerne mache, dann weiß ich, was zu erwarten ist. Es gibt aber – glücklicherweise – mehr als genug Krimis, sowohl gedruckt als auch verfilmt, wo „die etwas althergebrachte Form - mit seinem Verstand und seinen Augen, also seinem Spürsinn, auf die richtige Spur zu kommen“ an der Tagesordnung ist. Ich erinnere nur an die vielen Autoren, die ich oben als meine Favoriten aufgezählt habe. Ich möchte fast sagen, dass dies (noch, wenigstens) die Norm ist, CSI und Co. eher eine Abweichung...
Dafür nehmen Deine vier Hauptpersonen viel Raum ein. Sie entwickeln sich weiter, haben ihr Privatleben und ihre Eigenheiten. Das scheint für Dich sehr wichtig zu sein. Ævar Örn Jósepsson: Ist es auch – wie in allen Serienkrimis, seien es die aus der Feder von Nesser, Mankell, Sjöwall & Wahlöö, Nykänen oder Rankin, Marklund oder Läckberg, sind die privat/persönlichen Geschichten der Protagonisten/Helden wenigstens genau so wichtig für die Leser, die diese Geschichten überhaupt verfolgen, wie die Plots der einzelnen Romane. Und es ist (mindestens) genauso faszinierend und wichtig für mich als Autor, deren Geschichte zu erzählen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Mit „Svartir englar“ (Dunkle Seelen) warst Du für den Preis der „Crime Writers of Scandinavia“ im Jahre 2004 nominiert. Dein bisher größter Erfolg? Ævar Örn Jósepsson: Definiere „Erfolg“... aber ohne Witz: „Blóðberg“ wurde im Jahre 2006 für den gleichen Preis nominiert, und wer weiß, was mit „Sá yðar sem syndlaus er“ passiert wäre, wenn meine beiden letzten Krimis davor nicht nominiert gewesen wären... Jedenfalls sind sowohl die Rezensionen, als auch die Verkaufszahlen mit jedem neuen Krimi besser geworden... Literaturportal schwedenkrimi.de: Im letzten Jahr wurde zum ersten Mal ein isländischer Literaturpreis für den hervorragendsten isländischen Krimi vergeben - der Blóðdropinn (Bluttropfen). Du warst auch nominiert mit Deinem Buch "Sá yðar sem syndlaus er". Heißt diese Preisvergabe, dass der isländische Kriminalroman einen weiteren Schritt zur Anerkennung auf Island getan hat? Ævar Örn Jósepsson: Jein. Die Nominierung für den nordischen Krimipreis, den gläsernen Schlüssel, war schon immer die Sache des Isländischen Kriminalvereins (Hið íslenska glæpafélag, The Icelandic Crime Syndicate), ein Verein von isländischen Krimiautoren, Krimienthusiasten, Kritikern und Akademikern, die sich besonders für das Genre engagiert und/oder interessiert haben. Der isländische Kandidat für den gläsernen Schlüssel wird aus allen neuen isländischen Krimis gewählt, es gibt ja nicht so wahnsinnig viele, und deshalb kann man nicht davon reden, dass unsere Krimis für diese Nominierung nominiert werden, wenn man es so ausdrücken kann. Dies gilt genauso für den neuen Preis, der "Blóðdropinn" heißt, der Bluttropfen. Dieser ist einfach eine lang ersehnte, greifbare, symbolische und vor allem medienwirksame Verkörperung dieser Nominierung für den gläsernen Schlüssel, und, genau wie früher, die schlichte Nominierung, die vom isländischen Kriminalverein organisiert wird. Das diese Nominierung aber endlich mit einem greifbaren, und namhaften Preis verbunden ist, hilft bestimmt, die schon erhebliche und immer wachsende Anerkennung der isländischen Krimis noch einen Schritt weiter zu bringen. Absolut. Literaturportal schwedenkrimi.de: Ich weiß, zu fragen, ob jemand ein politischer Mensch ist, ist im Grunde eine überflüssige Frage. Denn auch ein Mensch, der sich als unpolitisch bezeichnet, verhält sich ja immer noch politisch, indem er diese Frage bewusst verneint. Aber ich stelle diese Frage trotzdem, da ja in Deinen Büchern die Politik immer eine Rolle spielt. Man muss nur das Nachwort von „Dunkle Seelen“ lesen. Woher kommt dieses Engagement? Ævar Örn Jósepsson: Keine Ahnung. Ich bin von Natur aus ein fauler Mensch, es ist mir ein Rätsel, warum ich mir die Mühe mache, mich für irgendetwas anderes als mein eigenes Wohl zu interessieren und zu engagieren. Das Leben wäre ja so viel angenehmer und leichter, wenn ich’s lassen würde. Aber ich kann es eben nicht lassen. Warum nicht? Wie gesagt, keine Ahnung.... Literaturportal schwedenkrimi.de: In Deinem Nachwort gehst Du sehr eindringlich auf die Datensammelwut der amerikanischen Behörden ein. Auf die „Total Information Awarneness“ und auf den „Patriot Act“. Aber auch wenn man die Diskussion in Deutschland verfolgt und auf die Vorschläge, wie die Sicherheitslage in Deutschland verbessert werden kann, auf die Sammlung von Daten, so kommt man zu dem Schluss, dass die Persönlichkeitsrechte immer mehr eingeschränkt werden. Man denkt nur an das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Es scheint, jeder ist im Voraus erst einmal verdächtig. Beängstigend, oder? Ævar Örn Jósepsson: Ja. Sehr. Literaturportal schwedenkrimi.de: Vielleicht eine dumme Frage, aber gibt es nun einen isländischen Geheimdienst oder nicht? Ævar Örn Jósepsson: Jein. Der isländische Geheimdienst hat heute ungefähr die Konturen, die im Buch beschrieben werden – und der Justizminister hat ungefähr die Pläne für die zukünftige, isländische Ausgabe eines Geheimdienstes, die dort beschrieben werden. Ob er sich damit durchsetzen wird ist eine andere Frage – und ich befürchte, die Antwort darauf wird ja sein... Literaturportal schwedenkrimi.de: Island hat ja eine Firma, die mit noch sensibleren Daten arbeitet, die Genfabrik DeCode Genetics. Sie hat alle Daten über die isländische Bevölkerung gesammelt. Diese Firma spielte auch einmal eine Rolle in dem Krimi "Nordermoor" von Arnaldur Indriðason. Macht Dir dieser gläserne Mensch nicht etwas Angst? Ævar Örn Jósepsson: Glücklicherweise ist Arnaldurs Krimi fiktiv – DeCode hat nicht alle Daten über die isländische Bevölkerung sammeln können. Die wollten es zwar tun, und es wurde ein Gesetz vorbereitet, die es ihnen ermöglicht hätte, und dieses Gesetz ist sogar, wenn ich mich recht erinnere, entweder in Kraft getreten oder so gut wie – aber es ist dann am Ende an irgendeiner Formalität gescheitert. Zum Glück gab es hier Menschen, die diese Gesetzgebung nicht schweigend hinnehmen wollten, und haben es am Ende verhindert. Die Gentechnik und ihre Möglichkeiten, und das, was Du den gläsernen Mensch nennst, fasziniert mich aber und erschreckt mich zugleich. Die Möglichkeiten, diese Technik zu missbrauchen, erschrecken mich. Die Möglichkeiten, diese Technik zum Wohle der Menschheit zu benützen, faszinieren mich. Und die Möglichkeiten, diese Technik als Stoff für Thrillers, Krimis und Sci-Fi zu benützen, haben, wie Arnaldur und andere gezeigt haben, noch weniger Grenzen als die Technik selbst... Literaturportal schwedenkrimi.de: In Deinem Buch „Blóðberg“ hast Du das Staudammprojekt im Osten von Island als Hintergrund für Deinen Krimi ausgewählt. Dieses Projekt hat viel Protest von Umweltgruppen hervorgerufen. Kommt Deine kritische Sicht dieses Projektes auch davon, dass Deine Frau Biologin ist? Ævar Örn Jósepsson: Auch, ja. Nicht nur, aber auch, bestimmt. Und die Tatsache, dass sie Biologin ist, hat weniger damit zu tun, als die Tatsache, das sie eine engagierte Umweltschützerin ist. Literaturportal schwedenkrimi.de: In den Büchern „Skìtadjobb“ und „Sá yðar sem syndlaus er“ geht es zum einen um Drogen, um die Unterwelt in Reykjavik, wo die beschissene Natur des Menschen, die beschissenen Verhältnisse deutlich übertrifft, in denen er lebt. Und zum anderen um, wenn ich es richtig weiß, Sekten, um falsche Prediger. Was reizt Dich an diesen Themen. Ævar Örn Jósepsson: Um einen Krimi zu schreiben, braucht man Kriminelle. Wenn man dazu noch realistische, gesellschaftskritische und einigermaßen „moderne“ Krimis schreiben will, muss man die heutige Gesellschaft im Blick behalten. Drogen sind ein Problem in Island – bei weitem nicht ein so großes Problem, wie einige Leute uns einreden wollen, aber immerhin, die Drogenwelt existiert hier, genauso wie überall auf der Welt. Und die Drogenbanden und –dealer sind, hier wie auch sonstwo, die brutalsten und die (bis auf die Finanzwelt, natürlich) am besten organisierten Kriminellen. Es ist also nur logisch – und fast unausweichlich – das Repräsentanten dieser Szene eine wichtige Rolle spielen in vielen, isländischen Krimis, genauso wie in den Krimis anderer Länder auch, auch wenn die am Ende gefassten Täter nicht immer aus deren Reihen stammen. Was ich damit sagen will, ist, dass es nur natürlich ist, dass man diese Szene mit einbezieht in einen realistischen Krimi und es unlogisch wäre, sollten die Polizisten keinen Gedanken daran verschwenden, ob es vielleicht etwas mit Drogen zu tun hat – auch wenn es sich am Ende vielleicht herausstellt, das dies nicht unbedingt der Fall ist. Das Einbeziehen von düsteren Gestalten aus der Drogenwelt ist vielleicht noch wichtiger in isländischen Krimis, die als realistisch dargestellt werden sollen, als sonstwo – weil wir hier, glücklicherweise, im richtigen Leben so wenige Morde zu beklagen haben... Die beschissene Natur des Menschen ist aber ein universelles Phänomen und eine notwendige Voraussetzung jeden Krimis. Ich möchte zwar nicht so weit gehen, zu konstatieren, dass der Mensch im Grunde schlecht ist – genauso wenig wie ich mir traue zu behaupten, dass der Mensch im Grunde gut ist. Dass jeder Mensch aber das Potential hat, unter Umständen etwas Schlechtes, ja, etwas Furchtbares zu tun, das werde ich nie verneinen. Und dass die Menschen nicht alle gleich anfällig und/oder veranlagt sind, Böses zu tun, wie wir „das Böse“ auch definieren wollen, werde ich auch nicht verneinen – das ist ja der Stoff, aus dem sowohl wirkliche wie auch fiktive Straftaten gemacht sind. Was die Sekten und die falschen Prediger angeht (die übrigens nur in "Sá yðar sem syndlaus er" - Ohne Sünde - zum Zug kommen), gebe ich freilich zu, dass ich solche Leute nicht aushalten kann. Leute, die ihre schwächsten Mitmenschen gnadenlos ausbeuten im Namen Gottes, nur um Geld zu verdienen – das sind, für mich, genauso schlimme Kriminelle wie die Drogendealer, deren Natur genauso beschissen ist... Literaturportal schwedenkrimi.de: Bist Du immer noch die Kontaktperson für Skandinavien der „International Association of Crime Writers“? Und welche Aufgaben hat diese Vereinigung? Ævar Örn Jósepsson: Ja, bin ich. Als Präsident von SKS (Crime Writers of Scandinavia) bin ich unsere Hauptkontaktperson für AIEP. AIEP ist, wie die Name verrät, eine internationale Vereinigung von Krimiautoren, und die Hauptaufgaben dieser Vereinigung werden auf unsere Internetseite (http://jmc.ou.edu/aiep/) aufgezählt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Zum Schluss eines Interviews habe ich immer die „Inselfrage“ gestellt, d.h. welche CD, Buch und welchen Film würde man auf eine einsame Insel mitnehmen. Aber da es kaum noch einsame Inseln gibt und wenn ja, man dort eh keinen Stromanschluss hat, stelle ich lieber die Frage nach der Lieblings CD, Buch und Film? Ævar Örn Jósepsson: Eine unmögliche Frage, muss ich sagen, weil dies sich ständig ändert... Aber sei’s drum, ich nenne halt einfach das, was mir heute am besten gefällt...Morgen könnte diese Liste ganz anders aussehen: CD: Zur Zeit höre ich mir am häufigsten Rolling Stones’ Forty Licks, Bruce Springsteen’s Magic und REM’s Around the Sun an. Sollte ich aber vor einer Hinrichtungskommando stehen, würde ich wahrscheinlich erschossen werden, bevor ich mich entscheiden könnte, ob ich lieber Clash’s London Calling oder Joy Division’s Closer als meine Lieblings CD aller Zeiten nennen sollte... Buch: Egils-Saga. Ich glaube fast, dass dies die Ausnahme ist: Egils-Saga wird Morgen sicherlich auch mein Lieblingsbuch sein. Und Übermorgen... Film: The Usual Suspects fällt mir ein – ein wunderbarer Plot, und noch schöner, wenn man ihn sich zum zweiten Mal ansieht, nur um zu sehen, wie sie es schaffen, uns so komplett und meisterhaft zu täuschen... Literaturportal schwedenkrimi.de: Ævar Örn wir bedanken uns sehr für dieses Gespräch und wünschen Dir viel Erfolg mit Deinem Buch "Dunkle Seelen". Bless! © Februar 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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